Banken und finanzielle Institutionen sind zentral für Volkswirtschaften. Wie abhängig die gesamte Volkswirtschaft von Banken ist, zeigt sich immer wieder: Ob durch Skandale und Finanzkrisen, die alle Branchen und Bewohner eines Landes zu spüren bekommen oder durch die Tatsache, dass die Anzahl der Girokonten in Deutschland die Anzahl der Bürger und Einwohner übersteigt und somit der Umgang mit Banken zum Alltag Vieler gehört.
Aktuelle Situation
Die Komplexität innerhalb der Branche nimmt durch neue Angebote und steigende regulatorische Anforderungen kontinuierlich zu. So wächst auch die Anzahl der zu verarbeitenden und zu speichernden Daten. Gleichermaßen werden durch stetigen Konkurrenzdruck seit Jahren Stellen branchenweit zurückgebaut. Grundsätzlich lässt sich dieser Weg nur durch zunehmende Automatisierung bewerkstelligen. Doch wie ist der eigentliche Stand der Automatisierung?
Betrachten wir hierzu eine der zentralen Funktionen einer Bank: die Finanzierungsfunktion, d.h. die Ausgabe von Krediten. So lassen sich einzelne (Teil-)Prozesse dieser Funktion zuordnen:
- Vertrieb: Ein Kredit wird vermarktet und Kunden angeboten.
- Antragsverarbeitung: Ein vom Kunden gestellter Antrag wird so vorbereitet, dass alle notwendigen Daten für eine Kreditentscheidung vorliegen.
- Kreditentscheidung: Auf Basis der vorhandenen Daten und entsprechender Risikoeinschätzung wird entschieden, ob der Kredit gewährt werden kann.
- Processing: Der gewährte Kredit wird abgeschlossen, dokumentiert und ausbezahlt.
- Servicing: Für den laufenden Kredit ist eine laufende Pflege, z.B. bei Umzug des Kreditnehmers, notwendig.
- Risikoüberwachung: Entsprechende Risiken (z.B. für Zahlungsausfälle) werden überwacht und regulatorisch relevante Maßnahmen getroffen.
- Workout: Bei Realisierung risikobehafteter Fälle werden entsprechende Klärungsmaßnahmen eingeleitet.
Auf Basis von Umfragen von Verantwortlichen aus den Bereichen Baufinanzierung und KMU-Kredite zeigt sich ein Automatisierungsgrad im Mittel von unter 50 Prozent über alle (Teil-)Prozesse hinweg. Das Potenzial zur Automatisierung wird, abgesehen von Workout, stets auf etwa 55 bis 70 Prozent geschätzt.
Herausforderung
Die Basis für eine mögliche Automatisierung stellt zunächst eine ausreichende Digitalisierung dar. Der Digitalisierungsgrad entspricht in etwa auch dem Automatisierungsgrad dergleichen Prozesse, sodass es möglich ist, mit steigender Digitalisierung auch die Automatisierung zu erhöhen. Doch finden sich in der Realität trotz erfolgreicher digitaler Transformationen weiterhin manuelle Prozesse mit Potenzial zur Automatisierung.
Welche technischen Herausforderungen schränken dabei den Automatisierungsgrad ein?
Dazu können exemplarisch zwei Teilprozesse des Kreditgeschäfts beispielsweise für den Fall der Baufinanzierung betrachtet werden:
- Antragsverarbeitung
- Kreditentscheidung
Im Falle der Baufinazierung ergeben sich bei der Antragsverarbeitung bzw. der Verarbeitung bis zur Kreditentscheidung bereits viele nicht-triviale technische Herausforderungen. So kann davon ausgegangen werden, dass verschiedene Anfrage- bzw. Antragskanäle mit unterschiedlichen Standards genutzt werden. Dabei können sich das Format, als auch die Qualität der Anträge maßgeblich unterscheiden.
Die Herausforderung wird in der weiteren Verarbeitung umso deutlicher, wenn unterschiedliche Dokumente mit unterschiedlichen Strukturen und Inhalten ausgewertet werden müssen. So werden bei Baufinanzierungen von Antragsformularen, Vertragsdokumenten, Nachweisen, Gutachten, Plänen bis hin zu Bildern die unterschiedlichsten Dokumente verarbeitet. Fehlen relevante Informationen oder Dokumente müssen diese darüberhinaus identifiziert und ggfs. beschafft werden. Sind alle relevanten Daten vorhanden, müssen diese so strukturiert werden, dass eine Kreditentscheidung gefällt werden kann.
Damit liegt eine große Herausforderung in dem Aggregieren und Strukturieren der unstrukturierten Daten aus unterschiedlichen Dokumenten und Formaten. Dabei müssen komplexe und zumeist vielschichtige Teilprozesse in einem übergreifenden Prozess kombiniert werden.
Für die Kreditentscheidung sind unterschiedliche Faktoren für die Ermittlung des tatsächlichen Risikos zu berücksichtigen. Dabei sind einfach auszuwertende Daten, wie etwa die finanzielle Situation des Kunden, die Sicherheiten des Finanzierungsobjekts, von komplexeren Risikofaktoren zu unterscheiden. So ist eine Einschätzung der technischen Qualität oder Bausubstanz, selbst bei vorliegenden Gutachten, ein komplexes Problem. Zwischenmenschliche Faktoren, wie etwa die Seriösität des Antragstellers aus dem persönlichen Austausch, können dabei gar nicht berücksichtigt werden.
Die weitere große Herausforderung liegt damit in der Einschätzung von Sprache und Abbildungen im Rahmen eines Risikomodells. Dazu müssen stark unstrukturierte Daten quantifiziert werden können und eine Einschätzung der Wichtigkeit der unterschiedlichen Faktor in ihrer gänzlichen Komplexität vorgenommen werden.
Beide dargestellten Herausforderungen bestehen aus einer Vielzahl an Problemen, die es zu lösen gilt. Dabei ist die Idee einer einzigen Lösung zur Bewältigung aller Herausforderungen nicht realistisch.
Potenzial
Für den Versuch einer Automatisierung der beiden dargestellten Teilprozesse des Kreditgeschäfts ist es notwendig, individuelle Lösungen für individuelle Probleme zu finden und diese in einem ganzheitlichen Ansatz zu kombinieren.
So können zunächst verschiedene Kanäle mithilfe von Robotic Process Automation bzw. RPA überwacht und strukturierte Inhalte auf diesem Wege aggregiert werden. Für zugehörige unstrukturierte Inhalte können unterschiedliche Lösungen notwendig sein: Dokumente müssen mithilfe von Texterkennung bzw. OCR strukturiert, Textpassagen mit Natural Language Processing ausgewertet oder Bilder mit Computer Vision Tools analysiert werden. Ob die Daten und ihre Qualität ausreichend für eine anschließende Kreditentscheidung kann darüberhinaus mithilfe von maschinellen Lernmethoden entschieden werden. Um die Komplexität der Kreditentscheidung abbilden zu können, können Methoden des automatisierten maschinellen Lernens (AutoML) oder der künstlichen Intelligenz (KI) eingesetzt werden. So kann eine optimale Kombination an relevanten maschinellen Lernmethoden identifiziert werden, um eine möglichst gute Entscheidung treffen zu können.
Wie gut eine solche kombinierte Lösung funktionieren kann, welche Herausforderungen sich bei der Umsetzung ergeben, wie diese überwunden werden können und welche Modelle sich wie optimieren lassen, um eine bestmögliche Entscheidung zu treffen?
Ende März werden wir in einem Whitepaper diese Fragen beantworten und tiefen Einblick in das tatsächliche Potenzial der Automatisierung des Kreditgeschäfts ermöglichen.
Literatur
- Rederer T., PricewaterhouseCoopers GmbH: „Industrialisierung des Kreditgeschäfts 2019“; https://www.pwc.de/de/finanzdienstleistungen/pwc-studie-industrialisierung-kreditgeschaeft-2019-auszug.pdf
- Beimborn D., Reitz A., Jentsch. C., Frankfurt School of Finance & Management gGmbH: „Digitalisierungs und SourcingPotenziale im Kreditgeschäft“; https://ppaworld.com/wpcontent/uploads/2017/07/DigitalisierungundSourcingPotenzialeimKreditgeschaeft.pdf